Machs gut Schneewittchen
Legimi
Hier ist vom Nebel die Rede, vom Nebel der Vergangenheit. Aus jenem Nebel der Vergangenheit tauchen die Gestalten der Kindheit des Autors auf, von denen C.U. Wiesner – das C.U. steht übrigens für Claus Ulrich -, sehr anschaulich und detailreich zu erzählen weiß. Zu diesen Gestalten gehört jenes Schneewittchen aus dem Titel dieser Memoiren. Aber wieso Schneewittchen? Dazu muss man sich in die Geschichte „Als mich der LIEBE zarter Flügel striff“ vertiefen. Diese lange Geschichte beginnt mit einem Exkurs über den Zeitpunkt der ersten gewissen Gefühle eines Menschenjungen und mit dem Geständnis des Autors, dass er mit sechs Jahren ein ausgemachter Stubenhocker war, „vielleicht weil mich größere Jungen zwei- oder dreimal verdroschen hatten, vielleicht auch weil ich, ohne dass mich jemand dazu angehalten, lange vor der Einschulung fließend lesen konnte.“ Im Zuge seiner Leseabenteuer kommt der Junge im Stadtanzeiger auch an den Fortsetzungsroman „Drei Nächte im Zirkus van Bevern“, in dem es vor Leidenschaften nur so brodelt. Die Lektüre brachte ihn zu der Erkennts, dass Liebe etwas Schönes, aber auch sehr Gefährliches sein müsse. Eine gewisse Vorsicht im Umgang mit der Weiblichkeit erschien ihm auf alle Fälle geboten. Viel später erzählt der Autor von einigen Tagen Heimaturlaub seines Onkels Oskar, um der Taufe seiner Tochter beizuwohnen. Die Erwachsenen, mindestens ein Dutzend an der Zahl, drängten sich bei Bier und Schnaps in dem winzigen Wohnzimmer zusammen, redeten lautstark durcheinander und landeten schließlich bei Witzen, deren Pointen die Frauen mit kreischendem Lachen belohnten. Ich hörte diesmal überhaupt nicht zu, nippte an meinem Glas verdünnter Pfirsichbowle und starrte wie ein Trottel das Mädchen mir gegenüber an, als wäre mir die Märchenfee leibhaftig erschienen. Dabei sah ich Annemarie, eine Nichte von Tante Trudchens Seite her, nicht zum ersten Mal. Aber früher hatte ich sie als dumme Gans betrachtet, die man als richtiger Junge links liegen ließ. Eine Märchenfee war sie natürlich nicht, eher schon das liebe Schneewittchen: weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz. Wenn sie meinen Blick auffing, schaute sie auf das Tischtuch. Und es beginnt eine zarte Romanze. Als letztes will ich noch berichten, was aus meinem Schneewittchen geworden ist. Auch hier übertraf die Banalität des Lebens jegliche Fantasie. Annemarie ging mit vierzehn von der Oberschule ab, wurde Fleischermamsell und heiratete den Klotzgesellen ihres Meisters.
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