Leni Behrendt Bestseller 32 – Liebesroman
Legimi
Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Es war Feierabend. Auf dem riesigen Gelände der Gösterlinwerke quirlte es wie im Ameisenhaufen durcheinander. Später, nachdem der Menschenstrom sich verlaufen hatte, tauchten immer noch Nachzügler auf, zu denen zwei Auslandskorrespondentinnen gehörten, die in einem separaten Büro arbeiteten. Die ältere, ein Fräulein in den Vierzigern, gehörte seit fünf Jahren zum Betrieb. Sie war klein und zierlich, hatte ein intelligentes Gesicht, warme dunkle Augen und ging immer gut gekleidet. Ihre junge Begleiterin, rank und schlank gewachsen, mit strahlendblauen Augen in dem feingeschnittenen Gesicht und hellsonnigem Lockenhaar, lief federnden Schrittes neben der Kollegin her, wie sie es zweimal am Tage taten, den Weg zur Arbeitsstätte hin und zurück. Ihre Unterkunft hatten sie in einer Wohnung, die der Postratswitwe Thea Brock gehörte, die bei ihrer ausreichenden Pension nicht nötig hatte, Zimmer zu vermieten, hing so sehr an ihrer Wohnung, daß sie sich nach dem Tode des Gatten nicht von ihr trennen konnte. Da gab sie lieber zwei von den fünf Zimmern an berufstätige Damen ab. Fräulein Magdalene Ihlen hatte ihr Zimmer bald nach dem Tod des Postrats bezogen. Wenig später bekam sie als Zimmernachbarin eine Kunstgewerblerin, die jedoch nach einem knappen Jahr heiratete. Doch lange stand der behagliche Raum nicht leer. Magdalene gab ihrer Kollegin, die mit ihrem Quartier gar nicht zufrieden war, den guten Rat, sich um das freigewordene Zimmer zu bemühen. Das Mädchen tat's, sagte der wählerischen Dame zu und wurde in die Hausgemeinschaft aufgenommen, in der sie jetzt seit fast zwei Monaten weilte. Es war ein vornehmes Haus, das die Kolleginnen nun betraten. War zu einer Zeit erbaut, wo man weder an Raum noch erstklassigem Material zu geizen brauchte. Über eine läuferbelegte Treppe erreichten sie die erste Etage, wo ihnen die langjährige Hausangestellte Trine die Tür öffnete und den Finger auf den Mund legte. »Leise, meine Damen, die gnädige Frau hat Besuch – und zwar Frau Gösterlin«, meldete sie so hochachtungsvoll, als wäre Majestät persönlich zu Gast. Lachend sahen die beiden Untermieterinnen sich an und verschwanden in ihren Zimmern, während im Wohngemach die Hausherrin mit ihrem Gast ein geruhsames Kaffeestündchen hielt. Sie hatten sich ja auch viel zu sagen, die beiden Basen, die in dieser Stadt aufgewachsen waren und da auch ihre Ehepartner gefunden hatten, welche sie dann im Zwischenraum von einem Vierteljahr an den Tod hergeben mußten.
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