Die anderen und ich

Die anderen und ich

Legimi

Nora S. hat Einspruch erhoben. Sie besteht darauf, sie selbst zu sein und jedenfalls nicht so, wie dieser und jener sie gern haben möchte, die Betriebsleitung und BGL eingeschlossen — Nora S. hat eine Erfindung gemacht, die den Leuten nicht ins Konzept passt, und sie fordert nichts, was ihr nicht ohnehin zustünde: Ihr Recht auf Arbeit. Aber gerade da werden die Probleme sichtbar. Ferner ist ein Mädchen verschwunden, Oberschülerin, Tochter eines Straßenbahnfahrers - Brüdering lässt dieses Mädchen suchen. Dabei sollte man meinen, dass ein Oberbürgermeister andere Sorgen hat in diesen drei Tagen unseres Lebens: Konz ist gekommen, der neue Parteisekretär. Er will durchsetzen, was der OB für undurchführbar hält: Schneisen hauen quer durch die Stadt, die in Jahrhunderten gewachsen ist und angefüllt mit Menschenschicksalen, Verkehrsadern schlagen quer durch Häuser und Wohnungen und Plätze. Eine Stadt ist kein Wald. Man kann nicht mit einem Federstrich ausstreichen, was Generationen geschaffen haben. Gibt es einen anderen Weg als den der Feindschaft zwischen den Genossen Brüdering und Konz? Und dann fragt sich einer, was die wahren Geschichten hierzulande sind. LESEPROBE: Ich klopfte mir den Staub von der Hose und fragte: »Sag mal, kennst du nicht Sigrid Seidensticker, das Mädchen aus der Zwölf b? Seit Donnerstag ist sie verschwunden. Hast du keine Ahnung, wo sie sein könnte?« Er starrte mich an. Ein schwer zu deutender Blick. Argwohn oder Betroffenheit. »Sie soll einen Freund gehabt haben. Parallelklasse...« »Wenn Sie mich damit meinen... Ja, das stimmt. Vor drei Wochen aber war Schluß. Hab eine andere jetzt, eine, die nicht gleich ans Heiraten denkt. Faxen sind das. Oder nicht?« Er schwieg und trommelte, ob aus Verlegenheit oder aus Gleichgültigkeit, mit den Fingern auf seinen Helm. Ich aber erschrak. Das hatte ich nicht vermutet, nicht, daß Gerhard das Söhnchen von einem Arzt oder einem Direktor oder was sonst aus einer verwöhnten Familie war. Ich erschrak und fand so schnell keine Entgegnung. Plötzlich sprach Konz. »Sie vernaschen die Mädchen wie andre zum Tee den Würfelzucker, was?« Gerhard grinste. »Und fühlen sich stark dabei, kommen sich vor wie ein Held.« »Na ja... Ich kann’s mir doch nicht durch die Rippen schwitzen.« Konz, bis dahin mit einer betont überlegten Ruhe, wurde wütend. Zum ersten Mal sah ich ihn wütend. Die Adern auf seiner Stirn schwollen an, seine Ohren röteten sich und seine Augen schienen jetzt heller.

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