Der Geist des Nasreddin Effendi
Legimi
Es ist verrückt. Und der Mann, der da erwacht, kann es kaum glauben: Da lächelte die Kaufwillige, die zu einer Gruppe eigenartig angezogener hellhäutiger Passanten - zu denen noch viele Frauen gehörten - zählte. Und als wurde es dem Mann erst jetzt bewusst: In der Tat, die Frauen zeigten ihre Gesichter ohne Scham, als sei es für sie etwas Alltägliches. >Oh Allah!< Und er schaute in den Himmel, der blau war, und sah über die niedrigen Schuppendächer jenseits der Straße die schlanke Spitze des Minaretts, eines Minaretts. >Ja, bin ich denn nicht in Chiwa?< Er blickte die Straße hinunter, und dort sah er, zwischen den Körpern der Leute hindurch, das Eingangstor zur Karawanserei. >Doch Chiwa ...! Aber das Minarett? Was ist geschehen? Die Frauen ohne Schleier, ein falsches Minarett? Also doch tot, in einer anderen Welt. Aber in einer, die nicht minder schön ist.< Und er sah in das Gesicht der Frau und nickte ihr froh zu. Eigentlich sollte der Mann doch tot sein, hingerichtet wegen der verbotenen Liebe zu einer schönen Frau, der Frau des Chans. Aber offenbar war er nicht tot, sondern sehr lebendig und – in der Gegenwart. Aber das versteht der Mann nicht oder noch nicht. Überhaupt kommt ihm in dieser Welt vieles unbekannt, unverständlich und ungeheuerlich vor. Schließlich lebt Nasreddin Chodscha – so der Name dieses Eulenspiegels des Orients – noch ganz in seiner alten Welt. Doch wohl oder übel kommt er in der Gegenwart an und sogar in einen Kolchos, wo er Arbeit bekommt. Später hat er einen Unfall, da ein Kollege in einer Kurve die Gewalt über sein Motorrad verloren hatte. So kommt Nasreddin ins Krankenhaus und zur Bekanntschaft mit einer schönen, geheimnisvollen Frau. Und die hat offenbar Interesse an ihm, wie er vom Pförtner des Provinz-Krankenhauses erfährt. Und sie will von ihm unbedingt etwas wissen: Sie lachte, stützte eine Sekunde ihre Stirn in die Hand, fuhr mit Daumen und Mittelfinger über die Augen. „Es ist also tatsächlich wahr, was die Leute sagen, du glaubst, Nasreddin, der Chodscha aus Aksehir zu sein ...?“ Sie fragte es so ernsthaft und gleichzeitig behutsam, dass er sich nicht brüskiert fühlte. Diese Frau ist Anora, eine junge Wissenschaftlerin, eine erfolgreiche Archäologin, und Anora hat ein Experiment gewagt – ein erstaunliches Experiment, von dem sie nicht einmal selbst wusste, ob es der Menschheit nutzen oder schaden würde. Merkwürdigerweise will sie trotzdem nicht berühmt werden. Ein raffinierter Text, der fasziniert und nachdenklich stimmt.
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