Bretonisch und Französisch im Süd-Finistère
Legimi
Der Erhalt der regionalen Sprachminderheiten ist ein erklärtes Ziel der Europäischen Union. 1992 wurde zu ihrem Schutz die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen ins Leben gerufen. Die Bedeutung dieser Sprachen als Identitätsträger nimmt zu, nachdem nationale Grenzziehungen in den Hintergrund treten. Frankreich hat die Charta 1999 unterzeichnet und seine Regionalsprachen per Beschluss der Nationalversammlung im Juli 2008 in die Verfassung aufgenommen. Dennoch ist in den Augen der Regierung eine Anerkennung der Charta nicht mit der Verfassung vereinbar. Eine betroffene Minderheitensprache ist Bretonisch. Zwar haben seine Sprecher bretonischsprachige Publikationen, Radio und Fernsehen zur Verfügung – wie stehen Sie aber zu ihrer Sprache, die vor einigen Jahrzehnten noch quasi verboten war? Wolfgang Köhler hat durch die Ergebnisse seiner qualitativen Feldstudie im Département Finistère, einige Antworten gefunden. Eine Kategorie von Befragten besteht aus älteren Muttersprachlern des Bretonischen, die vor Schuleintritt nur sehr geringe Französischkenntnisse besaßen und die allesamt dem traditionellen landwirtschaftlichen Milieu entstammen. Die Zukunft des Bretonischen hängt daher vor allem vom Engagement der Jüngeren ab; sie sind die zweite Informantenkategorie, die sog. Néo-Bretonnants: Muttersprachler des Französischen, die sich dazu entschieden haben, Bretonisch neu zu erlernen. Ein weiteres Kriterium für die Aufnahme in diese Kategorie war, dass diese Néo-Bretonnants Kinder haben, an die sie die Sprache weitergeben. Die Kinder besuchen Schulen mit Bretonisch als Unterrichtssprache. Aufgrund dieser Voraussetzungen konnte beobachtet werden, wie sich der Sprachtransfer auf die folgende Generation innerhalb der Familie vollzieht. Die Ergebnisse deuten auf einen sehr vielschichtigen Sprachkonflikt hin. Die Muttersprachler haben ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Sprache, sie schwanken zwischen Stolz und Ablehnung. Sie wenden ihre Sprache lediglich bei Verwandten, Freunden und Nachbarn an, die ihnen seit Langem vertraut sind und die ebenfalls mit Bretonisch als Muttersprache aufgewachsen sind. Die Néo-Bretonnants stoßen somit bei ihren Bemühungen, Bretonisch an ihre Kinder weiterzugeben, auf nur sehr wenig Unterstützung durch deren Großeltern. Darüber hinaus existieren Kommunikationsbarrieren zwischen dem standardisierten Bretonisch, das von den Néo-Bretonnants gesprochen wird, und den regional gesprochenen Dialekten der Muttersprachler. Ein erfolgreicher Spracherhalt scheint nur durch eine Aufarbeitung der traumatischen Vergangenheit, die die Muttersprachler angesichts des früheren Bretonischverbots und den damit verbundenen gesellschaftlichen Benachteiligungen durchlebt haben, möglich.
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