b - a - c - h oder Die Unwirklichkeit der Zeit
Legimi
Ein geheimnisvolles, zuvor unbekanntes Manuskript aus der Leipziger Universitätsbibliothek. Sein Verfasser bleibt unbekannt, aber alles, was er darin berichtet, scheint zu stimmen. Zwölf Mal habe er in dessen letzten Lebensjahr den schon fast blinden Thomaskantor besucht und seine Äußerungen mitgeschrieben – ohne dass es Bach bemerkte. In seinen Aufzeichnungen hielt er auch ein Geheimnis des alten Mannes fest: „Mir allein vertraute er sein Geheimnis an, das Geheimnis, was er mit dem zunehmend sich verzweigenden, in vier magischen Tönen sich steigernden Geflecht perfekter Fugen gewollt hatte. Er ließ mich allein mit den seinen Worten, die man schlechthin nicht für sich behalten kann, so wie er an der Stelle, wo die Quadrupelfuge abbricht, den Lauschenden alleinlässt, sooft das Werk originalgetreu aufgeführt wird.“ Er erlebt einen rätselhaften und unheimlichen Bach und fürchtet, dass ihm niemand glauben wird, was er aufgeschrieben hat. Und der Anonymus berichtet von dem Ringen des Komponisten mit seiner „Kunst der Fuge“, die ihm zum Vermächtnis wird – auch wenn er schon zu Ende seines Lebens der Musikwelt seiner Zeit mehr und mehr unbekannt geworden war. Eine neue Musik schien die alte Musik vertrieben zu haben … Volker Ebersbach hat einen philosophisch-musikalischen Roman geschrieben, in dem es um mehr geht als um biografische Einzelheiten, sondern um letzte Fragen nach menschlicher Schöpferkraft, um künstlerische Ansprüche und künstlerische Zweifel und um die geheimnisvollen Parallelen von Musik und Zeit. Bei dem Anonymus lesen wir: „Darum sind mir alle kompilatorischen Versuche, Bachs letztes Werk abzuschließen, so verhasst wie die Unart, nach dem Verklingen des letzten Tones den Choral ‚Vor deinen Thron tret‘ ich‘ anzustimmen. Die Stille, die da eintritt, muss ausgehalten werden. Sooft ich mir vorzustellen versuchte, wohin über die Quadrupelfuge und über den 239. Takt hinaus das nachgelassene Werk des Thomaskantors noch hätte gedeihen sollen, fand ich ihn – meist im Gegensatz zu mir, der ihn so lange nicht verstand – versöhnt mit seinem Erblinden und Dahinwelken, und mit seinem Sterben ging er nur den Weg, den „Die Kunst der Fuge“ mit ihrem ersten Thema längst eingeschlagen hatte.“
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