Wohin der Mensch gehört
Legimi
„In der Pause hatte ihm einer der beiden Jungen, der größere, seinen Tennisball weggenommen. Stefan hatte ihn zurückgefordert, aber da war der zweite Junge gekommen und hatte gesagt: „Wenn wir mit dir abgerechnet haben, dann kriegst du ihn wieder.“ „Wieso?“, fragte Stefan. „Ich kenne euch nicht.“ „Aber du wirst uns kennenlernen, Itzig“, sagte der Größere. „Ich will meinen Ball wieder.“ „Wenn du was willst, du Judenjunge, dann sag .bitte!“ Der Kleinere mit dem finsteren Gesicht trug einen schwarzen Sweater, der wie Haut an ihm haftete. Der Größere hatte ein Pferdegesicht voller Pusteln und trug ein braunes Hemd mit Schulterriemen. Sie drängten Stefan abseits von seinen Klassengefährten an eine Mauer. „Hör, Itzig“, fragten sie, „wieviel Prozent Jude bist du?" „Geht weg!“, fauchte Stefan. Sie lachten höhnisch: „Hat hier einer was gesagt?“ „Ist deine Mutter Jüdin?“, fragte der Große. „Ja.“ „Ist dein Vater Jude?“ „Ja.“ „Sag: Mein Vater ist ein dreckiger Jude!“ Stefan stieß den im schwarzen Sweater zurück. Sein Herz klopfte. Er versuchte nach der Seite zu entschlüpfen. Sie packten ihn und schleuderten ihn zurück an die Mauer. „Los, sag es!“ Stefan presste die Lippen zusammen. Es läutete, und Stefan sah seine Klassenkameraden ins Schulhaus zurückströmen. „Du hast nicht den Mut, es zu sagen“, stellte der Große fest. „Dann will ich es dir sagen: Dein Vater ist ein dreckiger Jude!“ In diesem erstmals 1957 im Verlag Neues Leben Berlin erschienen Buch erzählt Walter Kaufmann, der als Kind jüdischer Adoptiveltern mit viel Glück vor den Nazis aus Deutschland fliehen konnte, auf beeindruckende Weise, von seiner Kindheit in Deutschland und den immer schlimmer werdenden Erniedrigungen der Juden, von England und von Australien – ein erschütternder und trotzdem ermutigender Lebensbericht, der zeigt, wohin der Mensch gehört.
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