Kalter Mai

Kalter Mai

Legimi

Im nördlichsten der gar nicht so neuen Bundesländer verlieren Katharinas Eltern in der Zeit der neuen Freiheit ihre Arbeit und müssen mit der Tochter in ein Kaff ziehen. Zwei Jahre lang bleibt Katharina isoliert, trauert ihrer Freundin nach, die jetzt irgendwo im Westen wohnt, - und kann nichts mit ihren Klassenkameraden im (ebenfalls) neuen Gymnasium anfangen. Erst als sie Roland kennenlernt, findet sie Zugang zu anderen Jugendlichen, lernt deren Probleme und Möglichkeiten kennen. Mit Roland erlebt sie ihre erste Liebe, die sie hoffnungsfroh, aber auch manchmal verzweifelt macht. LESEPROBE: Einmal, noch einmal. Vorsichtige Schritte näherten sich der Tür. Vorsichtig wurde die Tür spaltbreit geöffnet. Katharina erkannte Nase und Stirn des Jungen. »Eh, Till«, sprach sie ihn an, »ich bin’s, Katja.« Er reagierte nicht. »Stör ich vielleicht?«, fragte sie verunsichert. Um eine Winzigkeit öffnete der Junge die Tür. »Entschuldige, ich kenn so viele Leute ... worum handelt es sich?« »Um nichts«, entgegnete sie verärgert. »Du hattest mich mal eingeladen. Da wollte ich einfach mal vorbeikommen ...« Er sagte noch immer nichts. Das ist mir zu blöde, dachte Katharina wütend. Erst führt er mich mit falscher Adresse und falschem Namen an der Nase rum, und jetzt tut er noch, als wenn er mich nicht kennt. »Das war’s dann wohl!« Sie drehte sich entschlossen um und ging. »Katja«, rief der Junge plötzlich erfreut, »Katja, die Freundin von Ahmchen! Warte doch!« Sie blieb stehen, vielleicht hatte er sie wirklich nicht erkannt. Sie standen sich auf dem schmalen, luftigen Gang gegenüber. Das T-Shirt »Power trotz Trauer« hatte er gegen eines mit dem Zeichen der Atomkraftgegner eingewechselt. »Na, du fahrender Held von DT 64«, lenkte sie witzelnd ein, »du hast mich ja ganz schön auflaufen lassen.« »Moment«, er zog die Tür hinter sich zu. »Wir setzen uns auf die Treppe, ja?« Er ging vor ihr. Von seiner Arroganz, die sie in der Veranda an ihm bemerkt hatte, war nichts übriggeblieben. Er wirkte kindlich klein, als er mit hängenden Schultern vor ihr hertrottete. Was er als Treppe bezeichnete, war eine eiserne Stiege, die auf das Dach führte. Vor der Luke hing ein dickes Schloss an einer Kette. Der Junge setzte sich neben sie. Im Arm hielt er einen Umhang oder ein Cape aus leuchtend smaragdgrüner Seide, von goldgelben Flammen durchsetzt. Aufgenähte Pailletten glitzerten. »Was willst du denn damit?«, sie wies auf das Gewand.

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