Die Kinder aus Ohlsens Gang

Die Kinder aus Ohlsens Gang

Legimi

Alle diese verräucherten und verwitterten Häuser, die sich in dem engen Sackgäßchen zusammendrängten, wie gebrechliche Greise in einem Alterswinkel, die sich gegenseitig stützen und wärmen und die alten Köpfe voll von Erinnerungen eines langen Lebens zusammenstecken, auch im Schweigen noch mit dem beredten Ausdruck eines nachdenklichen Gemütes - alle diese altersschwachen, schiefen, halb in sich zusammengesunkenen Häuser waren Heimstätten menschlichen Glückes und menschlichen Elendes, Heimstätten der Hoffnung und Heimstätten der Sorge. Wenn man von der lichtüberfluteten Hafenstraße mit ihrem nimmerruhenden Lärm der Straßenbahn, der Rollfuhrwerke, des rastlos auf und ab wogenden Welthandels, durch den niederen Torweg in dieses dämmerige Gäßchen hineinsah, erschien es freilich nichts weniger als heimisch und wohnlich. Man sah dann auch seinen schönsten Schmuck nicht, den Kirchturm von St. Michael, der im Hintergrund über die niedrigen Häuschen schlank und schön in den Himmel stieg. Zu Zeiten konnte der schmale Torweg sogar einen unheimlichen Eindruck machen, wenn der dunkle Abend von hier seinen Ausgang zu nehmen schien, und die einzige Laterne, die ihn erhellte, noch nicht ihren traulichen Schimmer auf die schmutzigen Wände und das schadhafte Pflaster warf. Oder wenn der Wind, der auf dem Strom durch die Schiffstaue pfiff, einen plötzlichen Seitenstoß in diesen dunklen Winkel wagte, daß die Scheiben der alten Laterne erschrocken klirrten. Aber es gab auch Stunden, wo die Sonne die eine Hälfte des engen Gäßchens überleuchtete, daß die alten Baracken aussahen, wie fröhliche Greise, die in behaglicher Sonntagsstimmung eine lustige Geschichte aus ihrer Jugend erzählen. Und wenn gar der Mond, beweglicher als die Sonne, in schönen, stillen Nächten seinen milden Schimmer über das Gäßchen breitete, und St. Michael wie in einem flüssigen Silber dastand - ja, dann hatte es manchmal etwas Feierliches, märchenhaft Heimliches, und die Ratten, die über das spitze Pflaster huschten, konnten aussehen, wie verwunschene Prinzen und Prinzessinnen. Dann träumten die Menschen, die diese alten Häuser bewohnten, in ihren Betten auch wohl von Glanz und Glück. Ihre Seelen, entzauberte Prinzen, spazierten in einem stolzen freien Schritt in ihren königlichen Gärten umher und vergaßen, daß sie am Tage eigentlich nur ein Rattendasein führten, in einem ärmlichen Winkel, umgeben von Reichtum und Glück, wovon sie nur träumen durften. Ohlsens Gang hieß dieses Gäßchen ...

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