Die Frühjahrsschwimmer
Legimi
Ende Februar in einem abgelegenen Baggersee Schwimmen gehen: Ein Ritual, das die Aufbruchsstimmung einer Clique von Freunden auf den Punkt bringt. Die auf die Umwälzungen der Spätsechziger folgende Bildungsreform beflügelt die Lebensentwürfe. Über Abitur und Studium hinaus erscheint vieles machbar. Es entstehen spezifische Milieus, in denen Phantasien vom Aufstieg aus einfachen Verhältnissen auf Rebellion und Verweigerungshaltung der Bürgerkinder treffen. Berauscht von den Möglichkeiten, die sich ihnen scheinbar eröffnen, geben sich unsere Freunde dem Gefühl, etwas Besonderes zu sein, hin. Aber bald zeigen sich erste Grenzen ihrer Vorstellungen. Thomas Arnold schmeißt das Gymnasium, um in der Fußgängerzone Gitarre zu spielen. Patrizia geht auf die Sekretärinnenschule, statt Abitur zu machen. Der Falke flieht vor der Einberufung nach Berlin. Das Ohr kommt wegen eines dilettantischen Versuchs, Drogen herzustellen, ins Gefängnis. Valentin fährt ungebremst mit dem Mofa in einen Reisebus. Nur der Rupp greift von Anfang an nach den Sternen: Er hat sich in Heidelberg für Philosophie eingeschrieben. Als sie sich nach Jahren treffen, um das Ritual zu wiederholen, zeigt sich, wie sehr sie inzwischen von einer neuen Wirklichkeit eingeholt worden sind. Thomas Arnold leidet unter einem Verfolgungswahn und ist schwer medikamentenabhängig. Patrizia lebt in einer unbefriedigenden Ehe und der Rupp scheint nach vierzig oder fünfzig Semestern immer noch am Anfang seiner Studien. Die Stimmung ist gereizt. Aber sie halten an der Idee fest, jetzt, Ende Februar, schwimmen zu gehen. Wer es am längsten im kalten Wasser aushält, soll von der als Prinzessin verkleideten Patrizia den Pokal bekommen, eine goldfarben angemalte Blechgießkanne vom Friedhof. Aber an ihrem geheimen Treffpunkt hat ein neoliberaler Jungpolitiker ein Mutmacher-Festival für die Jugend organisiert. Er schwingt hohle Reden und schwimmt als lebendes Beispiel für Entschlossenheit und Durchhaltevermögen in dem eiskalten Wasser. Ihrer Idee beraubt, zeigen sich Brüchigkeit und Ambivalenz ihres Zusammenhalts. Fast scheint es so, dass der aus Stagnation und Fehlentwicklungen resultierende Frust sich nur noch ein Opfer suchen muss. Das Ende der durch die Bildungsreform postulierten Ideale zeigt sich in der Erzählung von den Frühjahrsschwimmern nicht aus der gesellschaftskritischen Perspektive, sondern als klassische Tragödie, in der Darstellung des Scheiterns des Menschen an sich selbst.
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